Rückblicke Jan. 1994 (14.01.)
Entgegen einem Flugverbot der UNO haben erneut Kampfflugzeuge und Helikopter in den Krieg in Mittelbosnien eingegriffen. Dies berichtete ein UNO-Sprecher am Freitag in Sarajevo. Die seit 21 Monaten belagerte bosnische Hauptstadt wurde zum Jahreswechsel des Julianischen Kalenders vor Mitternacht schwer beschossen. Am Freitag stellten die Serben das Bombardement Sarajevos jedoch ein.
Mehrere Flugzeuge und Helikopter beschossen in Zentralbosnien Gebiete, die von der überwiegend moslemischen Armee kontrolliert werden. Der Sprecher der UNO-Schutztruppen (UNPROFOR), Bill Aikman, berichtete, in Verletztung des Flugverbots über Bosnien seien am Donnerstag Flugzeuge und Helikopter im Gebiet von Vitez eingesetzt worden. Zudem seien Helikopter im Gebiet der mittelbonsischen Stadt Novi Travnik beobachtet worden. Kurz danach seien dort Raketen eingeschlagen.
Aikman sagte nicht, welche Kriegspartei die Flugzeuge einsetzte. Er fügte jedoch hinzu, ihm sei nichts von Kampfflugzeugen der bosnischen Streitkräfte bekannt. Die Vereinten Nationen (UNO) hatten im vergangenen Jahr über Bosnien eine Flugverbotszone eingerichtet. Dennoch waren mehrmals Flugzeuge – offenbar von serbischer und kroatischer Seite – im Konflikt eingesetzt worden.
Beschuss Sarajevos eingestellt
Die Serben stellten den Artillerie-Beschuss Sarajevos am Freitag morgen ein. In der Nacht wurden sowohl das Hotel Holiday Inn, in dem ausländische Journalisten ihr Quartier haben, als auch das Kosevo- Spital von Granaten getroffen. Kurz nach Mitternacht sei das Artilleriefeuer, mit dem die Serben offenbar das orthodoxe Neujahrsfest begleiteten, verstummt, berichteten verschiedene Zeugen. Am Morgen waren nur vereinzelt Schiessereien zu hören.
Nach offiziellen Angaben wurden am Vortag bei dem schweren Bombardement vier Menschen getötet und mindestens 35 verletzt. Ärzte gaben nach einer neuen Bilanz elf Tote und 50 Verletzte an.
Kämpfe fortgesetzt
Auch in anderen Teilen Bosniens war am Vortag gekämpft worden. Das bosnische Radio berichtete, bei Kämpfen in der Moslem-Enklave Srebrenica seien eine Person ums Leben gekommen und elf Personen verletzt worden. In Mostar schlugen nach Angaben eines Sprechers des UNO-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) etwa 40 Granaten in der Nähe eines Hilfskonvois ein, der gerade entladen wurde.
Im Norden Bosniens starteten die serbischen Militärs offenbar eine neue Offensive zur vollständigen Einkesselung der Industriezone von Tuzla. Beobachter werteten diesen Vorstoss als offensichtliche Reaktion auf die Absicht der UNO und NATO, den Flughafen von Tuzla gegen den Widerstand der Serben für humanitäre Zwecke zu öffnen.
Hilfstransporte behindert
Ein Sprecher des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR beschuldigte in Genf alle drei Kriegsparteien, Hilfstransporte zu behindern. Es gebe weiterhin grosse Probleme, mit Hilfs-Konvois in bestimmte Gebiete Bosnien-Herzegowinas durchzukommen. Er berichtete von Schwierigkeiten um Maglaj, wo 100 000 Moslems seit Oktober von jeder UNO-Hilfe abgeschnitten seien. Der aus sieben Lastwagen bestehenden Konvoi mit Lebensmitteln werde von kroatischen Demonstranten aufgehalten, berichtete die UNO aus Zepce in Bosnien.
Die Hilfe für die Moslem-Enklave Gorazde werde von der serbischen Seite mit bürokratischen Forderungen behindert. Auch im Lasva-Tal würden durch die Offensive der bosnischen Streitkräfte wichtige Hilfslieferungen für Sarajevo aufgehalten.
UNO-Einsätze geprüft
Unterdessen reiste der Sonderbeauftragte von UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, Yasushi Akashi, von Belgrad nach Skopje. Die Hauptstadt der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien ist die letzte Etappe seiner Reise durch Ex-Jugoslawien. Akashi prüft derzeit die Möglichkeiten für eventuelle NATO-Luftangriffe auf Stellungen der bosnischen Serben. Am Sonntag soll er Boutros-Ghali in Genf Bericht erstatten.